Ab dem 1. November 2024 wird die sogenannte Blankoverordnung in der Physiotherapie eingeführt – ein bedeutender Schritt, der die Eigenständigkeit und den Grad der Selbstbestimmung von Physiotherapeuten in der Patientenversorgung nachhaltig verändern wird. Aber was genau ist die Blankoverordnung, und was bedeutet sie für Patienten, Therapeuten und das Gesundheitswesen?
Was ist die Blankoverordnung?
In der bisherigen Verordnungspraxis entscheidet der Arzt welcher Patient, warum (Diagnose), womit (Methode), wie regelmäßig (Frequenz) und wie oft (Umfang) vom Physiotherapeuten behandelt werden soll. Physiotherapeuten müssen exakt umsetzen was der Arzt vorgegeben hat. Insofern der Physiotherapeut die gewählte Methode, Frequenz oder Umfang für ungeeignet oder nicht optimal hält, kann er nicht eigenständig über ein anderes Vorgehen entscheiden, sondern muss den Arzt bitten die Verordnung zu ändern.
Die Blankoverordnung gibt Physiotherapeuten mehr Verantwortung in der Therapiegestaltung und dabei eigenverantwortlich über die Art, Dauer und Frequenz der Therapie zu entscheiden.
Anstatt dass der Arzt konkrete Vorgaben zur Therapie macht, liegt die Planung und Durchführung vollständig in den Händen des Therapeuten. Der Arzt verordnet also „blank“, und der Physiotherapeut übernimmt die therapeutische Gestaltung.
Warum wird die Blankoverordnung eingeführt?
Die Einführung der Blankoverordnung zielt darauf ab, die Rolle der Physiotherapeuten zu stärken und ihnen mehr Verantwortung für die Behandlung zu übertragen. Dies soll nicht nur die Effizienz der Behandlungen steigern, sondern auch die Qualität und Kontinuität der Versorgung verbessern. Es ist zu erwarten, dass Physiotherapeuten auf Grundlage ihrer Expertise am besten entscheiden können, welche Methoden aus dem physiotherapeutischen Spektrum für die jeweilige Diagnose/Indikation am besten geeignet ist. Da sie die Patienten oft über längere Zeit sehen, sind sie in einer idealen Position, den Behandlungsverlauf flexibel anzupassen und zu optimieren.
Vorteile für Patienten, Therapeuten und Ärzte
Für Patienten bietet die Blankoverordnung eine flexiblere und auf ihre Bedürfnisse angepasste Behandlung. Da der Therapeut eigenständig entscheidet, welche Maßnahmen notwendig sind, entfällt der Umweg über den Arzt für jede Therapieanpassung. Dies kann Behandlungsabläufe beschleunigen und die Versorgung effektiver gestalten.
Physiotherapeuten gewinnen durch die Blankoverordnung mehr Eigenverantwortung und Flexibilität. Sie können basierend auf ihrem Fachwissen die Behandlung optimal gestalten, ohne an strikte Vorgaben gebunden zu sein. Diese erweiterte Kompetenz wird durch eine neue physiotherapeutische Diagnostik untermauert, die als Grundlage für die Planung der Therapie dient.
Ärzte profitieren insofern, dass sie weniger mit Therapeuten und Patienten über die Wahl der richtigen Methoden diskutieren müssen und die Budgetverantwortung für die Blankoverordnung bei den Physiotherapeuten liegt. Die Verordnung geht also nicht auf das Budget der Ärzte und sie müssen dafür keine Regeresszahlungen fürchten. Zudem können (oft überfüllte) Arztpraxen erheblich entlastet werden wenn die Patienten 16 Wochen lang im Rahmen der Physiotherapie versorgt werden können.
Abrechnung und Vergütung
Mit der Einführung der Blankoverordnung kommen auch neue Abrechnungspositionen:
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Versorgungsbezogene Pauschale: Einmalig pro Verordnung wird eine Pauschale von 55 Euro (Positionsnummer 20524) abgerechnet, die den zusätzlichen Aufwand abdeckt, den die eigenverantwortliche Therapieplanung mit sich bringt.
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Physiotherapeutische Diagnostik: Zu Beginn jeder Behandlungsserie wird die physiotherapeutische Diagnostik durchgeführt, bei der der Therapeut den Zustand des Patienten erfasst und die Therapieziele festlegt. Diese Leistung wird mit 34,34 Euro (Positionsnummer 20512) vergütet.
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Bedarfsdiagnostik: Während oder am Ende der Behandlungsserie kann eine Bedarfsdiagnostik abgerechnet werden, die eine erneute Überprüfung des Therapiebedarfs oder eine Abschlussuntersuchung darstellt. Hierfür stehen 25,76 Euro (Positionsnummer 20523) zur Verfügung.
Ansonsten entspricht die Abrechnung der Therapiemethoden dem Heilmittelkatalog.
Diese neuen Positionen sollen den zusätzlichen Aufwand der Therapeuten honorieren und gleichzeitig eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherstellen.
Herausforderungen und Risiken
Mit der neuen Verantwortung kommen auch Herausforderungen. Eine der größten Sorgen vieler Praxen ist der Cashflow. Da Blankoverordnungen eine Laufzeit von bis zu 16 Wochen haben, kann es bis zu 19 Wochen dauern, bis die Abrechnung erfolgt und die Einnahmen in die Praxis fließen. Gerade für kleinere Praxen ist dies eine finanzielle Herausforderung, die gut geplant werden muss.
Ein weiteres Risiko liegt in der möglichen Mengenausweitung, also der Gefahr, dass mehr Behandlungen verordnet werden, als medizinisch notwendig sind. Um dies zu verhindern, wurde ein Ampelsystem eingeführt, das eine Orientierung an der üblichen Behandlungsmenge vorgibt. Wird diese überschritten, können 9 % der Vergütung abgezogen werden.
Grenzen und Einschränkungen
- Welche Patienten überhaupt eine Verordnung für Physiotherapie erhalten hat weiterhin ein Arzt zu entscheiden. Physiotherapeuten sind also weiterhin nachgelagert und abhängig tätig.
- Entsprechend können Patienten weiterhin nicht direkt zum Physiotherapeuten gehen, sondern müssen sich immer erst ärztlich untersuchen lassen.
- Diese Blankoverordnung betrifft zunächst nur bestimmte Diagnosen, für die eine Liste von 114 spezifischen ICD-10-Codes erstellt wurde. Vor allem Schulterdiagnosen spielen dabei eine große Rolle. Aktuell machen diese Fälle wohl ca. 10% der Verordnungen aus. Andere Bereiche können aber weiterhin nur mit klassischen Verordnungen und den Grenzen des Heilmittelkatalogs physiotherapeutisch versorgt werden.
- Die Blankoverordnung betrifft nur den Bereich der GKV-Versicherten. Für PKV-Patienten gibt es keine entsprechende Neuregelung.
Blankoverordnung und physiotherapeutische Heilpraktikererlaubnis: Eine echte Symbiose
Die Blankoverordnung gibt Physiotherapeuten die Freiheit bei dem jeweiligen Patient über Methode, Frequenz und Umfang der Physiotherapie zu entscheiden. Dennoch bleibt die Abhängigkeit zum Arzt, der vorab die Gefahrenabwehr, ärztliche Diagnostik und Indikationsstellung durchführen muss. Die Blankoverordnung kommt nur für bestimmte Erkrankungen überhaupt in Frage und ist nur im GKV-System von Bedeutung.
Die sektorale Heilpraktiker Erlaubnis der Physiotherapie wiederum, ermöglicht den vollständigen Direktzugang, unabhängig von ärztlicher Verordnung. Der Heilpraktiker für Physiotherapie entscheidet welche Patienten, warum und wie behandelt werden. Das kann er ganz unabhängig von der Versicherung des Patienten. Die Patienten können ohne Umwege physiotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.
Allerdings müssen Patienten ohne private Versicherung welche Heilpraktikerleistungen abdeckt in der Regel die Kosten vollständig selbst tragen.
Somit kann die Blankoverordnung eine großartige neue Option bei Patienten sein
- die eine für die Blankoverordnung vorgesehene Problematik/Diagnose haben
- die GKV-versichert sind
- die nicht bereit sind die Kosten der Behandlung selbst zu tragen
- und nicht den Umweg über den Arzt scheuen.
Für alle anderen Fälle bleibt die klassische ärztliche Verordnung oder die volle therapeutische Freiheit im Direktzugang beim Heilpraktiker für Physiotherapie.
Fazit
Die Blankoverordnung ist ein wertvoller Schritt in Richtung Autonomie der Physiotherapie, bleibt jedoch in sehr engen Grenzen. Zum Tragen kommt sie zunächst vor allem in der Versorgung von Schulterpatienten bei GKV-Versicherten. Wer vollständige Entscheidungsautonomie für die Patientenversorgung im Rahmen der Physiotherapie will, benötigt weiterhin die sektorale Heilpraktikererlaubnis.
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